Märkische Oder Zeitung

Wie Kinder auf einem Abenteuerspielplatz
© MOZ/Dorothee Torebko

Berlin (MOZ) Fußball, Leichtathletik, Radsport oder Formel 1 – Sportarten, die im Rampenlicht stehen. Doch es gibt auch weniger bekannte, die in den täglichen Meldungen nicht mal im Kleingedruckten auftauchen. Wir stellen einige von ihnen in loser Folge vor. Heute: Crossgolf.

Wenn Stephan, Jens und Lars ihrem Hobby nachgehen, kann es auch schon mal zu einer Anzeige kommen. Na ja, zumindest heute. Denn die Berliner quetschen sich an diesem wolkenverhangenen Montagmittag durch die Torstäbe einer stillgelegten Brauerei im Osten Berlins. “Privatgelände. Betreten verboten!”, ist da in Signalrot auf einem Schild zu lesen. Aber die Drei lassen sich von solchen Drohungen nicht aufhalten. Immerhin ist die Fabrik der ideale Ort für eine Sportart, die mittlerweile so populär ist, dass Europameisterschaften organisiert werden: Crossgolf.
Das Besondere an dem Sport ist, dass es keiner Mitgliedschaft in einem Golfclub bedarf. Auch auf einen Millimeter genau gestutzten Rasen verzichten die Querfeldein-Golfer. Ebenso auf eine Platzreife und den typischen Dresscode bestehend aus Polohemd und heller Stoffhose. Crossgolf wird stattdessen in Parks gespielt, auf Fabrikgeländen, in Einkaufzentren. Dort, wo genug Platz ist eben. Es ist das Golf für Jedermann. Für all jene, die keine Lust haben “auf das Elitäre, das mit dem Sport eigentlich verbunden ist, und die einfach nur Spaß haben wollen”, erklärt Stephan seine Intention.
Was der Crossgolfer braucht? Einen Schaumstoffball, der leichter ist als eine gewöhnliche Golfkugel, einen Schläger und bei Bedarf ein Stück Kunstrasen sowie ein Tee (Abschlaghilfe) aus Gummi. Diese Utensilien haben auch Stephan, Jens und Lars in ihre Rucksäcke gestopft.
Sie betreten das Fabrikgelände. Die über 30 Meter hohen Backsteinbauten, in denen einst Bier gebraut wurde, ragen in den Himmel, als ob sie die Wolken küssen wollten. Zwischen ihnen haben sich Gestrüpp, Birken und Gräser ihren Weg gebahnt. Unter den Schuhen der Berliner knirschen Glasscherben, Äste brechen unter ihrer Last. Sie stoppen, packen ihre Schläger aus.
“Am Anfang haben wir noch richtige Golftaschen mitgenommen, weil es cool aussah”, sagt Stephan. Praktischer sind aber Rucksäcke. Bequem ist auch die Kleidung des 28-jährigen Krankenpflegers: Bluejeans, ein dunkel-violettes T-Shirt und Turnschuhe. Klar, wenn er auf so einem Gelände eine weiße Stoffhose tragen würde, bräuchte er einen so großen Vorrat an Waschmittel wie der Trikotverantwortliche einer Fußball-Mannschaft. Denn oft an diesem Tag klettern die Crossgolfer von einer Ruine zur nächsten. Sie steigen Treppen und vergraben dabei ihre Chucks zentimeterdick in Staub. Sie wühlen sich durch Büsche, um Bälle aufzuspüren. Geschwärzte, klebrige Hände sind da vorprogrammiert.

Stephan legt den Ball auf ein etwa DIN-A-4-großes Stück Kunstrasen, wählt einen Schläger, holt aus, trifft – aber nicht das Ziel. Dieses haben die Crossgolfer vorher selbst ausgemacht. Aus etwa 15 Metern Entfernung sollen sie durch ein handballtorgroßes Mauerloch in eine Fabrikhalle treffen. Von da aus geht es zum nächsten “Loch”, das sie sich ebenfalls selbst suchen. Manchmal ist das ein Luftschacht, manchmal ein verrosteter Trabi, der auf dem Gelände abgestellt wurde. Manchmal eine kaputte Waschmaschine.
“In Elster gibt es einen Parcours direkt an der Elbe. Da wurde eine Mülldeponie rekultiviert, und die Waschmaschine nicht zu treffen, ist richtig frustrierend”, erklärt der 34-jährige Jens. “Wir können nicht so präzise spielen wie Platzgolfer, deshalb ist so was für uns schwer.” Jens ist zur Crew der Capital Crossgolfer – so nennt sich die Berliner Gemeinschaft – vor drei Jahren gekommen.
Genauso wie Lars, der mit 23 Jahren Jüngste im Bunde. Gegründet wurde das Team von Stephan und einem Freund. 2010 begannen sie mit fünf Anhängern des Freiluftsports, mittlerweile sind es zehn Mann und eine Frau. In Berlin gibt es neben dieser Crew auch eine weitere in Spandau. Stephan und Co. waren aber die ersten, die mit dem Schläger auf Schaumstoffbälle bolzten.
“Manchmal gucken die Leute auch komisch, was wir da eigentlich machen”, erzählt Lars, während er durch ein Fenster auf eines der Fabrikdächer klettert. Einmal haben die Capital Crossgolfer ein Turnier im Tegelcenter organisiert. Entlang der Fensterscheiben der Einkaufsgeschäfte haben sie zusammen mit 50 Amateuren gespielt. Der Manager des Shoppingzentrums hatte alle Geschäftsinhaber informiert, nur einer wusste nicht Bescheid. “Und der rief die Polizei”, schildert Lars und lacht. “Aber am Ende spielte der Polizist sogar noch mit”, ergänzt Jens.
Bisher wurden die Drei einmal auf dem Brauerei-Gelände, auf dem auch Graffiti-Künstler und Fotografen herumstreunern, von der Polizei aufgegriffen. “Sie nahmen uns nicht fest, sondern baten uns lediglich vom Gelände”, erklärt Stephan und fügt an: “Die wichtige Regel bei uns ist: Die Sicherheit kommt zuerst. Deshalb spielen wir ja auch mit den leichten und weicheren Bällen.” Selbst wenn man jemanden damit am Kopf treffen würde, gäbe es nur eine Beule, nicht gleich einen Krankenhausaufenthalt. “Getroffen haben wir uns alle schon einmal. Das passiert eben, wenn Kinder wie wir auf einem Abenteuerspielplatz herumtollen.”

Die Crossgolfer stellen ihre Rucksäcke auf dem Dach ab. Von hier aus blicken sie auf die Backsteinbauten über Bäume bis sie in der Ferne den Fernsehturm entdecken. Sie schweigen und ziehen an ihren Zigaretten. Jens geht als erster zum Abschlag. Er stellt sich breitbeinig auf das geteerte, schräge Dach und drischt los. “Wenn der Ball runterrollt, sprinte nicht hinterher. Sonst fällst du noch in die Tiefe”, mahnt Stephan. Was seine Frau wohl zu dem nicht ganz ungefährlichen Sport sagt? Stephan lacht. “Jetzt, da wir ein Kind haben, sagt sie, dass ich aufpassen muss. Aber sie weiß auch: Für mich bedeutet Crossgolf Freiheit.” Und ein bisschen Anarchie. Gegen die Etikette. Gegen die komischen Blicke der anderen. Für das Entdecken des Kindes in einem selbst eben.